AfD-Hochburg Dorfchemnitz: Warum wählt ein Dorf im Erzgebirge so rechts?

In einem kleinen Dorf im Osterzgebirge erzielt die rechtsextreme Partei seit Jahren Rekordergebnisse. Woran liegt das?

Dorfchemnitz.Vielleicht hätten vier oder fünf kräftige Kerle gereicht, als in Dorfchemnitz der Maibaum hoch zum Festplatz getragen wird, vielleicht hätten es nicht 15 sein müssen, Männer von der Feuerwehr, vom Jugendclub. Aber hier geht es ums Dabeisein. Ab durchs Festzelt. Die Blaskapelle spielt. Marvin Walther, Chef des Jugendclubs, schraubt den weiß gestrichenen Stamm an der Halterung fest, während die anderen Männer Tipps geben.

Die Feuerwehr spannt die Seile. Dann heißt es: anheben, ziehen, einer steigt aufs Dach und sichert. Schließlich steht der Baum. Oben ein geschmückter Kranz, als Spitze eine junge Birke, und die sächsische Flagge.

Es ist der 30. April 2024 in Dorfchemnitz, 20 Kilometer südlich von Freiberg. Ein typisch erzgebirgisches Dorf, Fachwerkhäuser und alte Bauerhöfe reihen sich entlang des Chemnitzbachs aneinander. Grüne Wiesen, die Bäume lassen im Frühling noch viel Licht durch. Schon zwei Stunden vorher ist das halbe Dorf auf dem Weg zum Festplatz. Manchmal kommt den Einheimischen auf der Dorfstraße ein Auto entgegen. Dann grüßen sie freundlich.

Die jungen Leute sind stolz auf ihren Jugendclub

Im Festzelt stehen ein paar junge Leute hinter dem Tresen. „Club 21“ steht auf ihren weißen T-Shirts. So heißt der Jugendclub, den sie 2021 gegründet haben. Jedes Jahr organisieren sie im Frühjahr das Maibaumsetzen, im Herbst eine Halloweenparty, sie beteiligten sich am Hammerfest – der Eisenhammer von Dorfchemnitz ist eines der letzten funktionsfähigen historischen Hammerwerke Sachsens. Es gibt vieles, worauf die Menschen in Dorfchemnitz stolz sein können. Den jungen Leuten fällt als erstes Blockhausen ein – das Zentrum für Kettensägenkunst im Wald, das an Frühlingswochenenden Tausende Besucherinnen und Besucher anlockt.

Auch auf ihren Jugendclub sind sie stolz: 24 Mitglieder sind es zurzeit, die meisten zwischen 20 und 30. „Wir haben einen guten Zusammenhalt unter der Jugend, und wir machen viel“, sagt die 24-jährige Meret Walther, die Schwester des Clubchefs. Die Gemeinde, so erzählt sie, hat für den Jugendclub ein Haus bauen lassen, es gibt eine Bar und ein Sofa. Und das Außengelände unterhalb des Kindergartens mit einer planierten Fläche, wie geschaffen für ein Festzelt. Die jungen Leute schauen sich um und einer sagt: „Wir können uns hier in Dorfchemnitz überhaupt nicht beschweren.“

Das ist also Dorfchemnitz.

Dorfchemnitz ist aber auch: das Dorf im Landkreis Mittelsachsen, in dem 2017 bei der Bundestagswahl 47,4 Prozent mit ihrer Zweitstimme die AfD gewählt haben – mehr als in jeder anderen Stadt oder Gemeinde in Deutschland. Vier Jahre später waren es noch mehr, 47,9 Prozent.

In den benachbarten Orten hat die AfD ebenfalls viele Unterstützer – in der kleinen, aber stolzen Bergstadt Sayda, in Rechenberg-Bienenmühle mit seinem Ortsteil Clausnitz, der 2016 Schlagzeilen machte, weil ein aggressiver Mob einen Bus mit ankommenden Flüchtlingen blockierte.

Seit der Bundestagswahl 2017, als das Rekordergebnis für die AfD bekannt wurde, steht Dorfchemnitz unter besonderer Beobachtung. Das Dorf schaffte es sogar in die deutsche „Huffington Post“: „Wir sind im Erzgebirge“, stand da. „Die Straßen haben tiefe Schlaglöcher, es gibt keinen einzigen Supermarkt, die Schule wurde geschlossen.“

So klingt es oft, wenn auswärtige Journalisten über das Erzgebirge schreiben. So, als wären sie alle im März dort gewesen, wenn der Schnee schon weggetaut ist, die Wiesen grau-braun sind und kaum jemand vor die Tür geht.

Wie soll das weitergehen bei Kommunalwahl und Landtagswahl?

Doch es gibt auch ein anderes Erzgebirge. Mit grünen Wiesen bis zum Horizont, mit Dorfgemeinschaften, die zusammenhalten. Die, wie Dorfchemnitz, einen modernen Jugendclub aufgebaut haben, um den sie manche Kleinstadt beneiden dürfte. Warum stimmen gerade hier, wo es so schön sein kann, so viele für eine rechtsextreme Partei? Für eine Partei, deren Vertreter zur Jagd auf politische Gegner aufrufen, Vertreibungsfantasien verbreiten, den Holocaust verharmlosen? Und wie soll das weitergehen bei der Kommunalwahl im Juni und der Landtagswahl im September?

Im Jugendclub wischen die jungen Mitglieder noch einmal den Tresen sauber, zapfen das erste Bier. Politik sei hier kein großes Thema, sagen sie. Man wolle neutral sein. Aber dass ihre Heimat von außen als Nazi-Dorf wahrgenommen wird, das haben sie alle mitbekommen. Wie geht es jungen Menschen in diesem Ort, was ist gut und was ist schlecht?

Der 21-Jährige muss lange überlegen, bis ihm etwas Negatives einfällt

Pitt Richter, 21 Jahre, schwarze Haare, breites Lächeln, muss erstmal überlegen: „Mir fällt gar nichts Negatives ein!“ Dann aber zählt er auf: Es fahren selten Busse. Aber das sei eher für die älteren Leute ein Problem. Die Jungen haben meist ein Auto und arbeiten sowieso außerhalb – da halten sie eben auf dem Heimweg an einem Supermarkt. Im Dorf hat vor Kurzem der Fleischer zugemacht, der Tante-Emma-Landen schon vor einigen Jahren. Jetzt steht etwas abseits der Hauptstraße ein Snackautomat, man kann Softdrinks, gesalzene Erdnüsse und Kondome kaufen. Wenigstens gibt es noch den Bäcker, das Fleischerauto, das Sparkassenauto und den kleinen Laden, der Konserven im Sortiment hat.

Und sonst? „Es wäre natürlich schön, wenn am Gasthof was gemacht werden würde, so dass mal wieder ein Wirt dort einzieht“, sagt Meret Walther. Das Haus gehört der Gemeinde, die Fassade ist angegraut, aber immerhin: Bis zu 300 Menschen könnten sich dort treffen. Das gibt es nicht in jedem Dorf.

Warum ist ausgerechnet in Dorfchemnitz die AfD so erfolgreich, die Partei der Dauerkritiker, die Fundamentalopposition?

Da ist zum Beispiel die Schule, die seit mehr als zehn Jahren geschlossen ist. Viele haben das der CDU nicht verziehen, die seit Jahren das Kultusministerium führt. Einige von denen, die jetzt zum Jugendclub gehören, waren damals Grundschulkinder. Sie mussten nach Mulda oder nach Sayda wechseln, Klassenkameraden wurden getrennt. Im Sommer feiert Dorfchemnitz sein 700. Jubiläum, dazu gehört auch ein Klassentreffen für alle, die hier einmal zur Schule gegangen sind. Ende April hatten sich bereits 680 Personen angemeldet. Schule ist nicht nur ein Haus, in dem man das Einmaleins lernt. Sie hat auch etwas mit Identität zu tun.

Und dann ist da noch die Straße nach Sayda – seit vielen Jahren ist sie kaputt, wird schrittweise saniert. Vielen dauert das zu lange. Wer für jede Strecke das Auto braucht, dem tut jedes Schlagloch besonders weh.

Kommt das Steuergeld nicht im Dorf an?

Das Gespräch bewegt sich langsam weg vom Festzelt, weg von Dorfchemnitz. Pitt Richter ist ein höflicher junger Mann, er wägt seine Worte lange ab. Und versucht, zu erklären, warum viele wütend sind auf die „Altparteien“ – den Begriff, den die AfD geprägt hat, benutzt er ganz selbstverständlich.

Und er sagt, alles habe 2015 mit den Flüchtlingen angefangen. Sind denn überhaupt welche nach Dorfchemnitz gekommen? Nein, außer neuerdings ein paar Ukrainern, mit denen man sich gut verstehe. Aber seit 2015 habe man gesehen, wie der Staat viel Geld für Flüchtlinge aus anderen Ländern ausgebe. Pitt Richter ist als Versicherungsmakler im Ort tätig. Als Selbstständiger, sagt er, arbeite man ein halbes Jahr nur für den Staat. Und dann komme das Steuergeld nicht im Dorf an, sondern werde an andere gegeben.

So ganz stimmt das nicht. Die Straße wird ja doch repariert. Und noch dieses Jahr soll der Ausbau des Glasfasernetzes beginnen – der Bund investiert Millionen, damit auch abgelegene Dörfer schnelles Internet bekommen. Vielleicht dauert das vielen Menschen einfach zu lang. Sie haben das Gefühl, um die Fremden kümmere sich der Staat schneller als um sie. Die Flüchtlinge sind wohl nicht die Ursache für die Wut, sondern eher ein Ventil. Pitt Richter sagt: „Das hat nichts mit Fremdenfeindlichkeit zu tun. Es ist gar nicht gegen die Flüchtlinge gerichtet.“

In vielen sächsischen Dörfern wohnen kaum Menschen mit Migrationshintergrund
Dorfchemnitz ist eines von vielen Dörfern in Sachsen, in denen kaum Menschen mit Migrationsgeschichte leben. Trotzdem spielt das Thema eine große Rolle. Im Jahr 2023 hat das Forschungsinstitut Dimap eine repräsentative Gruppe von rund 2000 Sachsen befragt. Die Daten dieses „Sachsenmonitors“ lassen sich zwar nicht nach einzelnen Kommunen aufschlüsseln, aber nach Landkreisen.

Einige Ergebnisse sind alarmierend: 48 Prozent der Menschen in Mittelsachsen machen sich sehr große oder eher große Sorgen, dass es ihnen persönlich insgesamt eher schlechter gehen wird. Und dann gibt es die Frage: „Würden Sie der Aussage zustimmen, dass Ihr Wohnort abgehängt ist?“ Da stimmten 44 Prozent zu oder eher zu. Haben es Rechtsextremisten hier deshalb so leicht?

Tatsächlich ist die AfD auf dem Land erfolgreicher als in der Stadt – das hat das Thünen-Institut für ländliche Räume anhand von Wahlkreisdaten der Bundestagswahl 2017 festgestellt. Das gilt allerdings nur in Ostdeutschland: In Westdeutschland war dieser Unterschied nicht erkennbar. Warum das so ist, darauf finden sich im Sachsenmonitor zumindest Hinweise. Wurden die Leistungen der Ostdeutschen beim Aufbau der neuen Bundesländer angemessen gewürdigt? 80 Prozent der Mittelsachsen stimmen eher nicht oder gar nicht zu.

Sind Dörfer in Ostdeutschland wirklich so abgehängt, dass die Menschen aus Wut – oder Protest – rechtsextrem wählen? In einem Zweckbau am Ortsausgang sitzt Thomas Schurig. Er ist der Bürgermeister von Dorfchemnitz. Man könne sich „auf der Gemeinde“ treffen, hatte er vorab gesagt – die Bezeichnung Rathaus würde nicht passen. Das einstöckige Gebäude ist flach, die Fassade abgenutzt, es gibt nur einen Vorraum und das Bürgermeisterzimmer. Dorfchemnitz wird vom benachbarten Sayda mitverwaltet.

Thomas Schurig, 62, ist seit neun Jahren Bürgermeister von Dorfchemnitz. Er ist parteilos und angetreten für die Freien Wähler, die hier als bürgerlich-konservativ gelten. Schurig kann viel erzählen über das Gefühl, unendlich weit entfernt zu sein von dort, wo die Entscheidungen fallen. „Wer kein Auto hat und nach Döbeln zur Führerscheinstelle muss, muss einen Tag Urlaub nehmen.“ Auch daran ist wieder das lückenhafte Nahverkehrsangebot schuld.

Der Bürgermeister würde die Straße wohl gern selbst planieren

Schurig ist ein umtriebiger Typ, er fährt viel mit dem Rad und organisiert Schlittenhunderennen. Außerdem ist er Inhaber einer Baufirma, auch wenn er sie zurzeit nicht aktiv leitet. Manchmal setzt er sich selbst auf den Bagger, wenn im Bauhof gerade mal Not am Mann ist und irgendwo ein Loch ausgehoben werden muss. Ihn stört nicht nur, dass es mit der Straße so lange dauert. Sondern auch, dass die Gemeinde immer von Entscheidungen und Geld von außerhalb abhängig ist. Es klingt, als würde er sich gern sofort auf ein Baufahrzeug setzen und die Straße selbst planieren. Aber so läuft es natürlich nicht.

Und dann ist da die Sache mit dem Radweg, den sie auf den alten Bahndamm gerne bauen würden. Ein sicherer Schulweg nach Mulda könnte das werden, erklärt Schurig, außerdem wäre das dortige Erlebnisbad dann gut erreichbar. „In den Neunzigerjahren ist zum ersten Mal darüber gesprochen worden“, ruft Schurig. Das war lange vor seiner Amtszeit. Doch auch er sei immer wieder gegen verschlossene Türen gerannt. Zuletzt hätten Landesbehörden ihm gesagt, der Weg müsse asphaltiert werden, sonst gebe es kein Fördergeld. Allerdings sei das Asphaltieren wahrscheinlich nicht rechtens, da die Strecke in einem Landschaftsschutzgebiet liegt. „Und dann kommen die Leute zu mir und wollen das erklärt haben“, sagt Schurig kopfschüttelnd.

Es geht um das Gefühl, übersehen zu werden

Die „Freie Presse“ hat bei den zuständigen Behörden in Dresden und Freiberg nachgefragt. Das mittelsächsische Landratsamt antwortet, es solle kurzfristige Abstimmungen mit der Kommune geben, um in dieser Sache voranzukommen. Ungefähr zeitgleich erhält Schurig einen Anruf: Ortstermin am Bahndamm noch im Mai. Vielleicht klappt es ja doch bald mit dem Radweg.

Oft scheint es gar nicht so sehr um eine tatsächliche Benachteiligung zu gehen, sondern eher um das Gefühl, übersehen zu werden. So ist es auch mit der Gaspreisbremse. Es gibt eine Sache, die in Dorfchemnitz auffällt: die Gastanks. Im Ort gibt es keinen zentralen Gasanschluss, man lässt sich Flüssiggas oder Öl liefern. Als Russland die Ukraine angriff und die Energiepreise massiv anstiegen, versprach die Bundesregierung schnell die Gaspreisbremse. „Die gilt aber nur für Erdgas, unsere Leute hatten gar nichts davon“, sagt Schurig.

So ganz stimmt das nicht: Für 2022 konnten Privathaushalte, die mit Öl oder Flüssiggas heizen, rückwirkend eine Entlastung beantragen. Doch bei vielen auf dem Land kam nur an: Die Bundesregierung hat uns vergessen. So wie beim Deutschlandticket, das sich auf dem Dorf nicht lohnt, wo nur wenige Busse am Tag fahren, oder bei der Mietpreisbremse. Politik für die Städte, nicht für uns, so sehen sie das hier. Bürgermeister Schurig sagt: „Die verstehen uns nicht.“

Die AfD ist Ventil für die Wut, ohne es vor Ort besser machen zu müssen

Und die AfD? Sie kommt in dieser Geschichte gar nicht so oft vor. Jedenfalls nicht direkt. Das liegt daran, dass sie auch in Dorfchemnitz nicht direkt präsent ist. Dabei stammt die mittelsächsische AfD-Bundestagsabgeordnete Carolin Bachmann aus dem Ort. Das mag zum Erfolg der Partei hier beigetragen haben. Auch wenn Bachmann ihnen beim Busfahrplan auch nicht weiterhilft; auf Facebook und Tiktok geht es bei ihr eher darum, dass im nahegelegenen Brand-Erbisdorf Flüchtlinge untergebracht werden sollen. Ja, sie fordert auch den schnelleren Breitbandausbau und verbreitet die Formel „Unser Land zuerst!“

Doch konkrete Lösungen für die Probleme der Menschen in Dorfchemnitz bieten sie und ihre Partei nicht. Ihr Erfolgsgeheimnis war bisher: ein Ventil für die Wut bilden, ohne es vor Ort besser machen zu müssen. Reicht das für einen Erfolg bei den Kommunalwahlen? Zieht die AfD bald überall in Gemeinderäte ein?

Bürgermeister Schurig wurde oft vorgeworfen, er verharmlose die rechtsextreme Partei. Als im Frühjahr im Gasthof eine Bürgerversammlung zum Thema Windkraft stattfand, verweigerte er einem AfD-Kreisrat den Zutritt. Zur Begründung sagt er: „Es war eine Bürgerversammlung, die ist nicht für Externe gedacht.“ Der Kreisrat legte Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Schurig ein – das Landratsamt gab dem Bürgermeister Recht. Auch eine Anzeige wegen Nötigung, die der Abgewiesene eingereicht hatte, wurde nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Chemnitz abgelehnt.

Vielleicht hat Schurig den AfD-Vertreter auch weggeschickt, weil er Ärger befürchtete. Die Gemeinde Dorfchemnitz will Sondergebiete für Windkraft ausweisen. Der Bürgermeister sagt, man wolle selbst in der Hand haben, wo Windräder gebaut werden, und auch ein Teil der Einnahmen solle im Ort bleiben.

Mit einer solchen Haltung kann man sich die AfD, die oft gegen Windräder ist, zur Feindin machen. Noch stellt die Partei im Ort keinen einzigen Gemeinderat. Am 9. Juni aber stehen sechs AfD-Kandidaten zur Wahl. Die Wähler können sich außerdem für die Listen der CDU oder der Freien Wähler entscheiden – Parteien links der Mitte stehen seit Jahren nicht auf dem Wahlzettel. Schurig sagt, ihm sei es egal, für welche Liste jemand antrete: „Mich interessiert, was er für den Ort tun will.“ Und keiner, den er im Ort kenne, sei ein Rassist.

Manche sagen, sie wählen lieber die rechtsextremen „Freien Sachsen“

Christine Klement spricht von Verfestigung. Sie ist seit neun Jahren evangelische Pfarrerin in Dorfchemnitz, sie sagt: „Es gilt zunehmend als normal, rechtsradikale Thesen zu äußern.“ Manche sagten schon, die AfD sei ihnen zu bürgerlich, da würden sie lieber die noch radikaleren „Freien Sachsen“ wählen. Es sei schwierig für Menschen, die anders denken, sich dagegen zu stellen: „Wer sagt, er wählt die Grünen, der findet vielleicht keine Freunde mehr.“ Mit Argumenten komme man oft nicht weiter.

Christine Klement will nicht als AfD-Versteherin gelten, aber als eine, die die Menschen im Dorf versteht. Die Pfarrerin kennt selbst das Gefühl, von Entscheidern in den Großstädten übersehen zu werden. Zum Beispiel, wenn die Landeskirche den Zuschuss für Fahrtkosten zu Fortbildungen kürzt mit dem Argument, man solle die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen: „Ich muss wenigstens bis Freiberg mit dem Auto fahren, anders komme ich hier nicht weg.“

Dennoch will die Pfarrerin die Dorfchemnitzer nicht ganz aus der Verantwortung entlassen: „Es ist doch ihr Dorf, sie sollten die Gemeinschaft pflegen.“ Sie nennt ein Beispiel. In der Nähe des Pfarrhauses hat jemand eine Bank aufgestellt, darauf steht geschrieben: Plauderecke. Eine Einladung zum Austausch, zur Gemeinsamkeit. Aber, so sagt Christine Klement: „Ich habe noch nie jemanden darauf sitzen gesehen.“